Freitag, 30. Juni 2017

Erst Wurzeln, dann Flügel: Wenn kleine Dreckspatzen flügge werden

Das kleine Mädchen, das mit hüpfendem Pferdeschwanz über den Spielplatz flitzt und nach kurzer Zeit eine neue Freundin findet, mit der es auf die Rutsche klettert. Das ist meine Tochter. Die kleine Ballerina, die mit fliegenden Zöpfen vor ein paar Hundert Zuschauern über die Bühne des Staatstheaters wirbelt; der kleine Wildfang, der mir mit nassen Kringellocken im Planschbecken so lange die Zunge rausstreckt, bis ich in Jeans durchs Wasser wate, damit wir es doch noch pünktlich zum Zahnarzt schaffen; der kleine zerzauste Wawuschel, der nachts zu mir ins Bett krabbelt und seinen Arm in meinen Pyjama-Ärmel schiebt, wenn er nicht schlafen kann: Das ist meine Tochter. Selbstbewusst, stark, mutig, tapfer und eigenwillig geht meine einst schüchterne Zaubermaus auf einmal in großen Schritten ihren Weg - und ich komme kaum noch hinterher.




Kleine und große Momente, die die Zaubermaus und ich in den vergangenen sechs Jahren geteilt haben, habe ich seit ein paar Wochen immer wieder vor Augen: Wie sie mir nach 23 Stunden Wehen und anschließendem Kaiserschnitt im Kreißsaal laut brüllend in den Arm gelegt wird, wie sie  glucksend mit ersten Schritten in ihren Lauflern-Schuhen hinter Oscar übers Feld stolpert, wie sie ihren kleinen Bruder beim Wettlauf an die Hand nimmt und ihn - leicht genervt, aber mit ganzem Herzen große Schwester - über die Ziellinie hinter sich herschleift...
Vielleicht liegt es daran, dass es unser letzter gemeinsamer Sommer ist, bevor meine kleine Große in die Schule kommt. Schon jetzt nehme ich nach und nach ein wenig Abschied von den unbeschwerten Tagen ohne Zeitdruck, die wir gemeinsam verbracht haben. Zum Glück waren das ganz, ganz viele.





Schon lange, bevor ich überhaupt wusste, dass ich schwanger bin, stand nämlich mein Plan fest, möglichst viel Zeit mit unseren Kindern zu verbringen, wenn sie auf der Welt sind. Und den habe ich - mit allen Konsequenzen - umgesetzt. Ich habe die seltene Möglichkeit genutzt, in meinem Beruf von zu Hause aus zu arbeiten, so lange die Mäuse noch klein sind. Für die wenigen Aufträge, die ich mit der Zeit annahm, opferte ich wenige Stunden und bekam dafür - verglichen mit einer festen Anstellung - auch relativ wenig Geld. Ein kleines, gebrauchtes Reihenhaus mit Garten, Trampolin und einem stets gut gefüllten Kühlschrank - damit sind wir heute zufrieden, weil wir uns in der Zeit vor unseren Kindern bereits ordentlich ausgetobt haben.





Wir wussten schließlich, worauf wir uns einließen. Viele erfahrene Eltern (auch unsere eigenen mit einem Schmunzeln) hatten uns davor gewarnt: Lange Tage, kurze Nächte, viele volle Windeln, leere Portemonnaies und mehrere Runden Magen-Darm - immer gleich für alle (unser Familienleben sei halt intakt, sagt unser Arzt in diesen Phasen stets mit einem Augenzwinkern). Dass ich dadurch weniger Zeit für eine ordentliche Frisur, eine gepflegte Maniküre, regelmäßige Fitness-Sessions - überhaupt für mich - haben würde, war mir schon vorher klar. Und dennoch wanderten, als es dann wirklich so weit war, unsere Mäuse nicht von der Kita zum Babysitter zur einen Oma, zur anderen Oma und zurück. Ich bin viel zu gern Vollzeit-Mama. Kein Nachholbedarf. Kein Jammern über die Jeans, in die ich nicht mehr passe, über die Partys, die ich verpasse, das Geld, das ich nicht mehr verprasse (klingt verdammt lyrisch - das soll jedoch kein Beitrag für einen Poetry Slam werden, sondern für diesen Blog). Also schlicht und sachlich:

                                            Ich will weder mein altes Leben ohne Kinder zurück 
                                            noch will ich mit Kindern leben als hätte ich keine.




Ich genieße es, mit einer Horde strahlender Kinder - und einer ursprünglich schneeweißen Tunika voller Schaf- und Ziegendreck - nachmittags aus dem Tierpark zu kommen, mir abends den Inhalt eines kompletten Sandkastens aus den Haaren zu waschen und dann in meinem eigenen Bett einzuschlafen, in dem ein Arm darauf wartet, in meinen Ärmel zu krabbeln - und ein Kinderfuß mir mitten in der Nacht fast das Nasenbein bricht (okay, das nicht). Schließlich weiß ich (auch das habe ich mir sagen lassen), dass diese Zeit, die Kindheit unserer Mäuse, schnell vergeht.





In aller Ruhe haben wir unseren Kindern bisher recht dicke und tiefe Wurzeln gegeben, damit ihnen Flügel wachsen können. Und zwar genau in dieser Reihenfolge (nicht andersrum - Goethe hat sich schließlich etwas bei diesem Zitat gedacht). Unbeirrt von so mancher Empfehlung, sie möglichst früh loszulassen, geben wir ihnen noch immer viel Nestwärme. Und wenn unsere zwei Vögelchen, Gattung: Dreckspatz jetzt so ganz langsam flügge werden und unser Nest in Richtung Schule verlassen, können wir ihnen relativ entspannt nachschauen. Mit dem guten Gefühl, dass unsere zwei Piepmatze, sollten sie mal fallen, ausreichend geerdet sind, um sanft mit beiden Beinen auf dem Boden landen zu können - wo ich stets schnatternd mit reichlich Futter auf sie warten werde. Typisch Glucke eben. 

Macht's Euch miteinander schön!
Herzliche Grüße,
Sarah  


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