Samstag, 3. März 2018

Ein Bauch voller Gefühle: 38 Schwangerschaftswochen mit viel Risiko und noch mehr Glück

„Du hattest aber auch eine Horror-Schwangerschaft.“ Da schwebte er, dieser Satz. In gewaltig großen Buchstaben schob er sich quer über den Esstisch zwischen mich und meine Freundin. Während meine beiden Mäuse oben durch die Kinderzimmer tobten, wurde es unten, im Wohnzimmer, ganz still. Dieser Satz traf mich mit aller Wucht, weil ich darauf nicht vorbereitet war. Er wirkte auf mich so verletzend, obwohl das vermutlich gar nicht die Absicht war. Und so überheblich, weil er noch dazu von einer Frau kam, die sich selbst glücklich schätzen konnte, schwanger geworden zu sein. Denn das ist nicht immer selbstverständlich. Dieser Satz klang, als müsste man mich für meine Schwangerschaft bemitleiden. Bullshit.




Ich hatte keine "Horror-Schwangerschaft" - wenn es so etwas überhaupt gibt. Ich hatte eine sogenannte Risiko-Schwangerschaft mit Hochs, Tiefs und einem vor Glück glucksenden Ende, das mir heute fröhlich plappernd die Welt erklärt. Und ich bin in diesen 38 Wochen gereift - vielleicht sogar ein bisschen mehr als manch andere.




Als ich vor sechs Jahren, rund 15 Monate nach der Geburt der Zaubermaus, zum zweiten Mal wie geplant schwanger wurde, hatte ich bereits etwas Routine: Ich wusste, wie man einen Schwangerschaftstest macht und auch wie die erste Vorsorgeuntersuchung ablief. Da es bei meiner ersten Schwangerschaft keine Probleme gegeben hatte, ich „erst“ 30 war und auch sonst keinerlei Risikofaktoren (keine Zigaretten, kein Alkohol, keine vorherige Fehlgeburt) existierten, war ich auf mögliche Komplikationen nicht gefasst. 
Etwas mulmig wurde mir, als meine Frauenärztin in der 16. Schwangerschaftswoche einen kleinen Bluterguss in der Gebärmutter fand. Ich sollte mich in den kommenden Wochen etwas schonen, empfahl sie mir. Das Baby könnte mit dem Bluterguss abgehen, wenn sich dieser löse, las ich später im Internet.





Aber der kleine Mann blieb. Dass sich der Bluterguss zurückgebildet hatte, war bei der Untersuchung in der 20. Woche die erste Überraschung, die zweite: dass wir einen Sohn bekamen. Und die dritte folgte im nächsten Satz, dessen Bedeutung mir erst in den kommenden Wochen bewusst werden sollte. „Ihre Plazenta sitzt sehr tief.“ Über meinen Mutterkuchen hatte ich mir zuvor noch nie groß Gedanken gemacht, wo er sitzt, was er da so macht, wohin er wandert, was nach der Entbindung mit ihm passiert (ich plante also nicht, ihn unter einer Eiche zu verbuddeln). Mir waren stets die gleichmäßigen Herzschläge meines Babys wichtiger, dass es mit der Zeit an Gewicht beziehungsweise Größe zulegte und sich die Organe und Gliedmaßen ausbildeten. Ich sollte mich weiter schonen, vielleicht würde die Plazenta in den kommenden Wochen noch nach oben wachsen, sagte meine Frauenärztin. Als Freiberuflerin konnte ich zunächst auch noch weiterhin arbeiten, reduzierte meine Aufträge jedoch auf Telefoninterviews und Home Office.




Von einer placenta praevia, die übrigens gar nicht so selten vorkommt, spricht man in der Regel ab der 24. Woche. Bei einer weiteren Kontrolle im zweiten Trimester bestätigte meine Frauenärztin, dass sich meine Plazenta in der Nähe des Gebärmutterhalses eingenistet hatte - statt wie üblich brav oben oder seitlich an der Gebärmutter zu haften. Somit befand sie sich viel zu nah am Muttermund, den sie später teilweise oder ganz überdeckte - richtig deutlich haben die Ärzte das bei mir nie sehen können. Ich weiß bis heute nicht, ob ich eine placenta praevia marginalis, partialis oder totalis hatte, so die medizinischen Fachbegriffe für die verschiedenen Formen, die ich rauf- und runtergoogelte.




In der Zwischenzeit hatte ich nämlich viel zu viel im Internet recherchiert und auch alle unqualifizierten Beiträge selbsternannter Experten wie „Honeybunny79“ oder „Helikoptermom2012“ nahezu verschlungen, die - mit klarem Verstand betrachtet - zu meinem individuellen Schicksal doch eigentlich rein gar nichts sagen konnten. Ich wusste inzwischen, dass als mögliche Ursachen bei mir der „eilige“ Kaiserschnitt bei der Geburt der Zaubermaus infrage kam, und dass ich relativ rasch hintereinander wieder schwanger geworden war.
Ich hatte auch gelesen, dass eine spontane Geburt aufgrund der Position des Mutterkuchens recht schwierig beziehungsweise nicht möglich wäre - was ich nicht weiter tragisch fand. Die 23 Stunden Wehen, die ich bei der Zaubermaus hatte, reichen als Geburtserfahrung für drei Kinder. Und ich las, dass es mir jederzeit passieren konnte, dass ich die restlichen Wochen meiner Schwangerschaft zur stationären Kontrolle möglicher Blutungen liegend im Krankenhaus verbringen musste: In seltenen Fällen könne es zu einer Ablösung der Plazenta kommen, was mitunter lebensgefährlich für Mutter und Kind sei, so hieß es.





Meine erfahrene, kluge und besonnene Frauenärztin beruhigte mich jedoch. Einen ihrer prägnantesten Sätze gebe ich bei Angst vor Erkrankungen heute noch gern weiter: „Machen Sie sich nicht zu viele Sorgen, was die kommenden Wochen betrifft. Genießen Sie lieber jeden Tag und lesen Sie lustige Bücher. Ihnen kann schon jetzt, wenn Sie aus dem Haus treten, ein Ziegelstein auf den Kopf fallen. Dann wären alle Sorgen umsonst.“

Ich durfte zu Hause bleiben und bekam über meine Krankenkasse eine Haushaltshilfe gestellt, auf die ich bereits nach sechs Wochen wieder verzichtete: Sie betreute lieber meine Tochter als im Haushalt zu helfen - doch das wollte ich selbst. Meine Mama kam stattdessen zwei- bis dreimal unter der Woche zu uns, bügelte, putzte, half mir beim Kochen und sorgte dafür, dass es mir, der Zaubermaus und dem Mäuserich in meinem Bauch gut ging. 





Denke ich heute zurück, erinnere ich mich daran, die ganze Zeit über ein Handy in einer kleinen Tasche um den Hals getragen zu haben, falls ich Blutungen bekommen sollte und den Rettungsdienst alarmieren musste - was zum Glück nicht geschah. Ich weiß noch, dass ich insgesamt vorsichtiger war und mich überwiegend in unserem Haus und Garten aufhielt, weil ich vorzeitige Wehen vermeiden sollte. Ich entsinne mich an so manche Nacht, in der ich vor Angst weinte, dass der Mäuserich viel zu früh auf die Welt kommen könnte.
Ich denke aber auch gern daran zurück, wie ich tagsüber sanft mit der Zaubermaus tanzte, die damals noch nicht im Kindergarten war, wie wir täglich am Sandkasten saßen, immer wieder über meinen wachsenden Bauch streichelten und wir alle lachten, wenn der Mäuserich darin mal wieder Schluckauf hatte.




Wir richteten in den kommenden Wochen nicht nur das Babyzimmer ein, sondern auch uns selbst auf den geplanten Kaiserschnitt etwa zwei Wochen vor errechnetem Entbindungstermin. Anders als bei der Maus, bei der die Geburt mit einem plötzlichen Blasensprung begonnen hatte, durften wir uns den Geburtstag unseres Sohnes selbst aussuchen. Auch das war etwas Besonders.

In den letzten Wochen vor der Geburt „übergab“ mich meine Frauenärztin ans Krankenhaus, dessen Ärzte mit all ihren Geräten, Messungen und zum Teil einander komplett widersprechenden Aussagen ordentlich Verwirrung bei uns Eltern stifteten. Am Vormittag des 16. August 2012 zeigte sich, wie richtig und wichtig es war, dass ich die ganze Zeit auf mein Bauchgefühl gehört hatte: Ich wollte aufgrund des möglichen Risikos nicht spontan entbinden, sondern bestand auf den geplanten Kaiserschnitt. Ich verlor dabei extrem viel Blut - vermutlich hatte die Plazenta doch mehr Platz eingenommen als von den Medizinern berechnet. 
Mit einem Gewicht von 3490 Gramm, einer Größe von 51 Zentimetern, allen zehn Fingern, Zehen und einem kräftigen Löwengebrüll, das in den kommenden Tagen durch die gesamte Station hallen sollte, kam der Mäuserich auf die Welt. Der kleine Kerl ist kerngesund, kräftig und macht den ganzen Tag nichts als Quatsch. Ende gut, alles gut.


Für all die kleinen und großen Schicksalsschläge, die das Leben in der Regel nun mal mit sich bringt, brauchte ich bislang kein Mitleid. Mitgefühl hingegen ist immer schön.

"Das Leben ist schön. Von 'einfach' war nie die Rede."
- Unbekannt - 


Was lernen wir daraus: Hört auf Euer Bauchgefühl (auch bei Menschen), genießt jeden einzelnen Tag und schaut immer mal nach oben, wenn Ihr aus dem Haus tretet ;-).


Herzliche Grüße,
Sarah