Mittwoch, 20. Oktober 2021

Bye bye, Emma! Hallo Hugo! Vom alten DIY-Wohnwagen zum neuen Hobby

Verrostete Beulen-Front außen, vergilbte Scheibengardinen und rustikal furnierte Gelsenkirchener-Barock-Schränke innen: Es gibt da dieses angestaubte Bild, das viele Nichtcamper vor Augen haben, wenn sie an Camping im Caravan auf verwahrlosten Stellplätzen am Allerwertesten der Welt denken. Unsere Emma war so viel mehr als nur ein oller Wohnwagen. Das schmuddelige Image ihrer Artgenossen wischte sie - "boomshackalacka" - mit einem Schlag ihrer Stauklappe beherzt beiseite.




Die kleine Emma war ein rollender Star, ein W-wie-Wohnwagen-Promi, über den der Spiegel und der Stern in ihren Magazinen berichteten. Nur die lokale Presse nicht - vermutlich aus persönlichen Gründen.  ;-) Mit zahlreichen Likes, Followern im Internet, Interview- sowie Kooperationsanfragen und immer wieder Fragen nach den Produkten, die wir bei ihrer Renovierung benutzt haben, gehörte sie bereits vor Jahren zu den ersten Influencerinnen unter den DIY-Pimp-My-Caravan-Wohnwagen. Unser 30 Jahre alter Wohni inspirierte mit seinem  Innenleben im skandinavischen Stil, den aufwendig-eigenhändig komplett geweißten Schränken, dem stylischen Bad und seiner bunten Wimpelkette im Heck viele  Vertreter:innen des sogenannten Glampings: also Camping mit Schnickschnack und Gedöns auf 5-Sterne-Plätzen unter Palmen inklusive Wasserpark, Brötchenservice und Kinderanimation. 






Als ich zum ersten Mal auf diesem Blog von ihrem umfangreichen Makeover berichtete, wollten plötzlich viele so sein wie unsere Emma: Alte Knaus', Dethleffs  und Hobbys aus den 70er- und 80er-Jahren erfreuen sich in Gebraucht-Portalen noch immer einer bemerkenswerten Nachfrage. 





Interessentinnen spannten ihre Ehemänner und unter anderem Schwiegerväter (hier gendere ich bewusst nicht, weil isso) ein, um nach umfänglichen Renovierungsmaßnahmen in einer Nachfahrin/einem Nachfahren unserer Emma die Liebe zum Camping zu entdecken. Oder eben  nicht: Dass diese Leidenschaft für Helga, Heidi, Hans - oder wie die Wohnis halt pittoresk getauft werden -  in manchen Fällen offensichtlich bereits vor dem ersten Urlaub im "1000-Sterne-Hotel-auf-Rädern" wieder erlosch, belegt eine Vielzahl von angefangenen Wowa-Renovierungsprojekten. Auch sie sind unter den Kleinanzeigen zu finden: dieses Mal jedoch in der Kategorie „für Bastler“.





Für uns persönlich bedeutete Emma viel mehr als der Medienhype, den sie erzeugte. Für uns war unsere herzallerliebste Emma unsere Rückzugsmöglichkeit, unser Sehnsuchtsort, unser Happy Place. Wenn ich hin und wieder nachts mit den Mäusen und ihren flummigroßen Beulen, blau-blinkend-gequetschten Fingern oder 120 Dezibel starken Hustenanfällen kraft- und schlaflos in der Notaufnahme unseres Krankenhauses wartete, dachte ich an die guten Zeiten in unserer Emma. Wenn ich stundenlang über unserer Steuererklärung brütete, beim Elternabend saß oder mir Kolleg:innen, Vorgesetzte, etc. meinen Arbeitstag erschwerten, lag ich gedanklich lang ausgestreckt auf den selbst genähten Polstern in unserem Wohnwagen. 





Ich konnte mir meinen Wohlfühlort jederzeit wie an einem Schnürchen aus dem Gedächtnis ziehen und (virtuell) jede Schrankklappe öffnen - sogar ihr Klacken hatte ich dann in den Ohren. Schließlich hatten wir sie eigenhändig in ihre mehr als 600 Einzelteile zerlegt, um diese in 200? 300? 400? Arbeitsstunden weiß beziehungsweise schwarz zu streichen. Anders als bei Hotelzimmern, die man in der Regel Urlaub für Urlaub wechselt, konnte ich mir jedes Detail unserer Emma vor Augen holen und dem Alltag entfliehen, ich musste sie nur kurz schließen. 





Ist es Euch aufgefallen? Ich meine das Präteritum in den vorigen Sätzen, also die Vergangenheitsform der Verben: war, inspirierte, hatte, bedeutete... Wir haben unsere Emma verkauft. Und das bereits vor einigen Monaten. Mit schwerem Herzen und mehreren Kullertränchen auf den Wangen, weil wir so viele unvergessliche Augenblicke mit ihr verbinden. Aber auch mit einem sehr guten Gefühl im Bauch: Unsere Emma soll für ein soziales Projekt für Kinder und Jugendliche in unserer benachbarten Großstadt genutzt werden. 





Zuvor hatten wir sie in einem Gebrauchtwohnwagenportal angeboten. Mit dem Wunsch nach Veränderung sowie einem autarken Wohnwagen auf der einen Seite. Und mit der still gehegten Hoffnung auf der anderen Seite, dass sich vielleicht niemand für unsere alte Dame interessierte, die zwar über bemerkenswerte innerliche Werte verfügte, äußerlich jedoch nicht sooo viel hermachte. Unsere sentimental geprägte Preisvorstellung war noch dazu so unverschämt hoch - das kann ja gar nicht klappen, dachten wir. Falsch. 





Innerhalb weniger Stunden gehörte unser Wohnwagen zu den meist angesehenen Objekten des Tages und wir bekamen zahlreiche Anfragen: nach der Farbe, dem Bodenbelag und wie wir denn die Polsterbezüge genäht hätten mit der Bitte um genaue Anleitung. Ernsthaftes Kaufinteresse bekundete jedoch zunächst niemand. Einige "potentielle Käufer" reisten in den kommenden Wochen schließlich an, um sich mal in Ruhe in unserer Emma umzuschauen, sich Notizen und sogar heimlich Fotos zu machen. Tststs, die Kopiervorlage für andere Wohnwagen hätten sie einfacher haben können: ein Blick auf meinen Glücksfeder-Blog hätte gereicht. 





Schließlich, als wir es schon fast aufgegeben und bereits einen weiteren Urlaub mit unserer Emma geplant hatten, nahm ein seriöser Käufer mit uns Kontakt auf, der unseren Wohnwagen prompt für seinen guten Zweck mitnahm. Den Erlös haben wir in unseren neuen, gebrauchten Wohnwagen investiert: Er heißt Hugo, ist ein Hobby De Luxe 545 Kmf, drei Jahre jung und somit das komplette Gegenteil unserer Emma. Lang, breit, komfortabel, dunkel, modern - und in diesen Zeiten besonders wichtig: mit seiner eigenen Duschkabine auch autark.




 

Mit unserem hübschen Hugo waren wir inzwischen schon dreimal unterwegs: In Sankt Peter-Ording, auf Fehmarn und in Hamburg lernten wir uns näher kennen und lieben. Ich stelle Euch unseren neuen Reisegefährten bald mal vor. Hugo ist cool, lässig und elegant zugleich - aber eben nicht unser erster und vermutlich auch nicht unser letzter Wohnwagen. 





Unsere Emma hingegen wird für immer in unseren Herzen bleiben, denn mit ihrer offenen, einfachen, charmanten Art hat sie uns zu Campern gemacht. 


Danke, meine Liebe. Lebe wohl!





 Leben ist Veränderung!


Hugoliche Grüße,

Sarah 


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