Mittwoch, 9. August 2017

Wenn es nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende: Wie ich wieder lesen lernte

"Ich erinnere mich noch genau: Es war ein Dienstag. Ich hatte gerade den neuen Roman von Nora Roberts ins Regal geräumt, als diese blonde Frau mit vier prall gefüllten Einkaufstüten die Buchhandlung betrat, vor dem Regal mit Belletristik stehenblieb und sich suchend umblickte. Immer wieder nahm sie verschiedene Bücher heraus, las kurz den Klappentext und stellte sie entnervt zurück. Als ich sie fragte, ob ich ihr helfen könne, sagte die Kundin, dass sie ein Buch suche, in dem niemand sterben dürfe, erst recht keine Kinder, es dürften keine Morde, kein Totschlag, keine Kriege, keine Misshandlungen und schlimmen Unfälle darin vorkommen - das echte Leben sei schließlich schon dramatisch genug. Ein Buch, das erheitert, ohne albern zu werden, nichts Oberflächliches, sondern etwas mit Tiefsinn. Jan Weiler habe sie bereits gelesen, von ihm bitte nicht schon wieder etwas. Und nie wieder Kafka. Ansonsten: schöne Literatur eben. Ich empfahl ihr 'Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand'. Sie nahm es und zahlte. Ich sah sie nie wieder."    




Wäre das hier kein Blog, sondern ein Roman, könnte er vielleicht so beginnen: mit der Schilderung der Buchhändlerin, der ich als blonde Frau mit vier prall gefüllten Einkaufstüten neulich meinen besonderen Wunsch anvertraute. Ich wollte mal wieder etwas Schönes lesen. Ich bekam ein Buch, das seitdem auf meinem Nachttisch lag - ganz oben auf dem Stapel mit den fünf weiteren literarischen Werken, die ich nach den ersten 50 Seiten weggelegt habe, weil mir beim Lesen die Augen zufielen und sie nun mal nicht so ansprechend waren, dass ich es am nächsten Abend erneut mit ihnen aufnahm.


In meinem früheren Leben (das ohne Kinder) war ich ein Bücherwurm, der sich im Arbeitszimmer Seite für Seite durch das sechs Meter breite und über zwei Meter hohe Regal voll mit Lesefutter fraß. Klassiker der Weltliteratur von Goethe, Schiller, Dickens, Zola und zum Beispiel Shakespeare, Bestseller von Jan Weiler, Daniel Glattauer ("Gut gegen Nordwind" - aus besonderem Grund noch immer mein Lieblingsbuch) bis hin zu Ferdinand von Schirach: Ich kaufte sie mir stapelweise, las sie noch am selben Tag und stellte sie anschließend wie Trophäen in den Schrank. Romane, Novellen, Kurzgeschichten, Dramen, Sachbücher, sogar absurde Gedichte: Ich habe sie - vor, während und nach meinem Studium mit Schwerpunkt Literaturwissenschaft - mit einem Happs verschlungen.




In meinem heutigen Leben (das, in dem Kinder die Hauptrolle spielen) fehlten mir in den vergangenen Monaten tagsüber die Zeit und abends nach der ausgedehnten Vorleserunde für die Mäuse die Kraft, mich nun auch noch mit den Problemen fremder Romanfiguren zu befassen. Den Großteil meiner Bücher, die ich stets eh nur einmal gelesen habe, nie mehrfach, habe ich verkauft und verschenkt. In meinem alten Bücherregal im Keller lagern jetzt die Klamotten und Spielsachen der Mäuse, die wir auf dem Flohmarkt verkaufen wollen. 




Weil Lesen jedoch ein wichtiger Teil von mir ist, der mich ausmacht, meine Sicht auf die Dinge immer wieder verändert, meinen Horizont erweitert, habe ich mich selbst überlistet. Da ich eh bereits regelmäßig mit den Mäusen die Stadtbibliothek besuche, die zum Glück (noch) Bücher lieben, leihe ich dort seit kurzem auch Romane für mich aus, was ganz nebenbei Geld und Platz in meiner heutigen Bücher-Vitrine spart. Drei Wochen habe ich Zeit zum Schmökern - pünktlich zum Abgabetermin müssen die Bücher komplett gelesen sein. Verlängern gilt nicht, da bin ich sehr streng mit mir. Und es funktioniert. War es zu Beginn meiner mir selbst auferlegten Pflichtlektüre als Wiedereingliederungsmaßnahme in die Literatur nur ein etwa 120-seitiger Roman, den ich zu Ende las, so sind es mittlerweile schon zwei, manchmal drei. Heiter müssen sie inzwischen nicht mehr unbedingt sein, auch an die ersten leichten Schicksalsschläge traue ich mich langsam wieder heran.




Zu meinen Tricks gegen meine abendliche Buchstaben-Müdigkeit gehört auch, dass ich mir eigens eine kleine, bei Bedarf sehr helle, Leseleuchte für den Nachttisch gekauft habe, damit ich wach bleibe. Die Mäuse wissen jetzt: Wenn Mama die Lampe an hat, heißt es: "pssst, mucksmäuschenstill sein" (gilt für alle Situationen, in denen Mama die Lampe an hat 😂). Denn dann will Mama lesen, nicht nur, weil tägliches Lesen so wichtig ist wie Zähneputzen, sondern weil sie wissen will, ob im Buch am Ende tatsächlich alles gut wird - so wie im echten Leben doch auch.
"Am Ende wird alles gut. Und wenn es nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende." 
                                                                                                                               - Oscar Wilde -

Macht's Euch schön!
Herzliche Grüße,
Sarah   





 

       

2 Kommentare:

  1. Hey meine Liebe.
    Ich liebe das Lesen und lese auch so gut wie jeden Tag. Entweder wenn ich mal fünf Minuten Zeit habe oder wenn ich abends noch wach genug dafür bin. Ich liebe es einfach und das wird auch nicht vergehen, denke ich. Ansonsten gehe ich auch gerne in die Bücherei aber habe auch festgestellt, als ich fast alle meine Bücher verkauft und verschenkt habe, dass mir etwas fehlt. Irgendwie so die Seele des Raumes fehlte, ein Teil von mir. Also füllte sich das Wohnzimmer wieder mit Büchern und wunderschönen Regalen. Ohne Bücher, ohne mich.

    Habe einen schönen Mittwoch.

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  2. Hallo liebe Sandra,
    das ist ja schön! Das freut mich, dass Du Dir häufig Zeit nimmst für ein gutes Buch. Auch ich habe lange gezögert, meine Bücher nach und nach wegzugeben (meine Lieblingswerke, und das sind sehr viele) habe ich noch immer. Aber so fühle ich mich derzeit wohl. Vielleicht wird sich jedoch auch unser Wohnzimmer irgendwann wieder mit Regalen voller Bücher füllen - Bücherwurm bleibt Bücherwurm. Hab ein schönes Wochenende!

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